STATION 9: LESEN, SCHREIBEN, RECHNEN
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Wir stehen hier vor der weiß getünchten Mauer. Sie umgibt das Gelände, auf dem die erste Schule für Kinder aus Bechlinghoven, Pützchen und Vilich Müldorf gestanden hat. Sie lag in der Nähe der damaligen „Vilicher Straße“, die im Jahr 1955 in „Alte Schulstraße“ umbenannt wurde (Haus Nummer 337).
Die erste Schule mit einer Klasse
Errichtet wurde sie im Jahr 1847 als einklassige Schule mit einer Lehrerwohnung im ersten Obergeschoß. Eine allgemeine Schulplicht bestand bereits ab 1825 für alle Kinder vom vollendeten 6. bis zum 14. Lebensjahr. Landesweit konnte die Schulpflicht aber erst ab 1870 zwingend praktiziert werden (C.J.Bachem, Beueler Chronik S. 87).
Der erste Lehrer hieß Franz Jung; später kam Peter Schmitz als Elementarlehrer dazu.
Leider ist aus dieser Zeit von dem Bechlinghovener Schulhaus kein Bild überliefert. Allerdings ist auf alten privaten Fotos aus den 1960er Jahren das damals noch existente Gebäude im Hintergrund zu erkennen.
Schulen in den Nachbarorten
In Holtorf wurde auf inständiges Bitten der Bürger 1849 auch eine Schule eingerichtet.
In den alten Akten finden sich Pläne aus dem Jahr 1829, in Pützchen eine Schule zu gründen, die aber von Seiten der Obrigkeit abgelehnt wurden.
Neues Schulhaus auf der Marktwiese
Offensichtlich reichte das Gebäude am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr aus, um alle Kinder aufzunehmen. Denn Ostern 1895 wurde auf der Gemeindewiese, der heutigen Marktwiese, nahe der Ortsgrenze zwischen Pützchen und Bechlinghoven eine neue Schule bezogen, die mit zwei Klassenräumen und zwei Lehrerwohnungen doppelt so groß war wie die alte Schule. 1904 wurde wegen gestiegenen Schülerzahlen eine der Wohnungen zu einem dritten Klassenraum umgebaut.
1891 betrug die Schülerzahl 111 Kinder in 2 Klassen und 1916 wurden 160 Schüler in 3 Klassen gezählt.
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Dieter Schneider der damalige Rektor der Marktschule (1984 bis 2002) berichtet in der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der Ortsvereine Pützchen- Bechlinghoven im Jahr 1989:
1912 besuchten 180 Kinder die drei Klassen der Schule. Nach dem 1. Weltkrieg war 1925 der Schülerbestand mit 111 Kindern auf einen Tiefstand abgesunken. Mit rasch einsetzender Bautätigkeit am Knippchen und an der Friedenstraße stieg die Schülerzahl wieder auf 238 und damit auf fünf Klassen. Da nur drei Klassenräume vorhanden waren, herrschte große Raumnot, so dass man gezwungen war, auszuweichen in die Glashalle der Gastwirtschaft Neff an der Pützchens Chaussee und auf die Saalbühne der Wirtschaft Henseler an der Marktstraße. (Heute befinden sich dort an der Hausnummer 21 eine SB-Filiale der Volksbank und das Büro der Firma Gartenbau Lentzen).
Bilder der Schulchronik von 1930 zeigen, wie der Lehrer Toni Ennenbach bei schönem Wetter auch den Unterricht selbst bei schriftlichen Arbeiten ins Freie verlegte. 1934/35 wurde schließlich die Schule durch Umbau und auf Kosten der Lehrerwohnung um zwei neue Klassenräume und ein Konferenzzimmer erweitert. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte Pützchen durch die Einrichtung eines Flüchtlingslagers im Saale Groß an der Marktstraße (gegenüber der Pfarrkirche) und durch Zuzug von anderen Vertriebenen eine Eingliederung von evangelischen Mitbürgern in die bis dahin fast rein katholische Einwohnerschaft, was am 19.4.1948 zur Einrichtung einer einklassigen evangelischen Schule für 33 Kinder innerhalb der katholischen Schule führte.
Die Schülerzahl stieg weiter; die Unterstufe der evangelischen Schule wurde für zwei Jahre in den Saal des Schützenheimes an der Pützchens Chaussee ausgelagert, bis 1965/66 der 1.Erweiterungsbau der Nachkriegszeit erfolgte, der im Juli 1967 offiziell eingeweiht und die Schule um 4 weitere Klassenräume, eine Pausenhalle sowie einen Toilettentrakt bereicherte, unter dem ein Büchereiraum eingerichtet wurde.
1968 wurde die katholische Grundschule in eine Gemeinschaftsgrundschule umgewandelt. 1970 entstand die Turnhalle ehe 1974 noch einmal vier Klassenräume ein Musikraum, einem gut ausgestatteter Werkraum sowie ein weiterer Toilettentrakt hinzukamen. 1989 besuchten 210 Schülerinnen und Schüler die zweizügige Marktschule.
Am 18.Januar 1994 gründete sich der Verein der Freude und Förderer der Marktschule Pützchen eV „För de Pänz“.
Die Nachfolgerin von Dieter Schneider im Rektorenamt wurde im Sommer 2002 Sabine Brögger. Sie steht einer Schule vor, die im Jahr 2024 von 400 Kindern besucht wird. Damit wird die 4 zügige Schule ab dem Schuljahr 2024/2025 in den Stufen 1 und 3 sogar fünf parallel Klassen haben. Damit ist die Pützchener Marktschule eine der größten Grundschulen in ganz Bonn.
Der letzte Erweiterungsbau am östlichen Ende des Schulhofs erfolgte 2008. Weil durch das neue Gebäude der Schulhof Federn lassen musste, nutzen der Schulkinder auch die gegenüber liegende Marktwiese als Pausenhof.
Schule in der Zeit des Kaiserreichs
In der Zeit des Kaiserreiches, also vor rund 180 Jahren, besuchten alle Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren die Volksschule.
Mit königlich-preußischem Erlass war am 14.Mai 1825 erstmals eine allgemeine Schulplicht eingeführt worden.
Auf dem Land, wie hier in Bechlinghoven, waren die Schulbedingungen oft herausfordernd. Lehrer und Lehrerinnen hatten meist keine pädagogische oder fachliche Ausbildung und wurden von den Eltern mit Naturalien wie Brot, Fleisch und Mehl bezahlt. Um das Einkommen aufzubessern, waren Lehrpersonen vielfach zugleich Organist und Küster in der Kirche des Ortes.
Überfüllte Klassenzimmer
Die Klassenzimmer waren meist überfüllt und die Disziplin war streng, auch Prügelstrafen waren keine Seltenheit.
Es gab sehr oft einklassige Schulen, in denen alle Schüler der Schule in einem einzigen Raum von einem Lehrer unterrichtet wurden. Die ehemalige Volksschule in Bechlinghoven ist ein Beispiel dafür.
Saßen 1830 über 100 Kinder in der Klasse, so betrug 1870 die Durchschnittszahl je Klasse 80 Kinder und 1910 etwa 70 Kinder. Wenn man heute Klassen mit 30 Schülern als problematisch ansieht, so waren damalige Lehrer bei den übergroßen Klassen zu Frontalunterricht und Ordnungsstrafen gezwungen.
Das Schulzimmer
Die Grundausstattung der Schüler bestand aus einer Schiefertafel mit Schwamm und Lappen sowie einem Griffelkasten aus Holz. Die älteren Schüler schrieben in deutscher Schrift mit Feder und Tinte in Schreibhefte.
In den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die Schulbänke mit schräger Schreibplatte und eingearbeiteten Tintenfass abgeschafft und durch Tische und Stühle ersetzt, Federhalter und Feder durch einen Schulfüllhalter. Ebenso saß der Lehrer nicht mehr an einem erhöhten Lehrerpult, sondern in gleicher Höhe mit seinen Schülern an einem kleinen Schreibtisch.
Hinter dem Katheder des Lehrers hingen Bilder des Kaiserpaares und ein Kruzifix. Die Schüler sollten stets erinnert werden, dass sie dem Monarchen Respekt und Gehorsam schuldig sind.
Das Zeugnis
Bemerkenswert ist das Schulentlassungszeugnis von 1898. Es ist u. a. vom Schulinspektor Pfarrer Heinrich-Josef Müller unterschrieben, denn damals lag die Schulaufsicht bei der Kirche.
Pfarrer Müller war der Pastor von Vilich, denn Pützchen-Bechlinghoven wurde erst 1906 eigenständige Pfarrei. Auch der Bürgermeister Friedrich Breuer unterschrieb das Zeugnis. Er hatte seinen Dienstsitz in Vilich bzw. ab 1891 in Beuel und ab 1896 im neu erbauten Rathaus, das in etwa dort stand, wo sich auch heute das Beueler (Bezirks-)Rathaus befindet.
Die dritte Unterschrift (rechts) ist die vom Lehrer A. Sechtem, der von 1885 bis 1902 an der Marktschule unterrichtete.
Der Schulalltag
Der Schulalltag war oftmals als militärisch geprägt, strikte Befehle und strenge Kontrolle waren an der Tagesordnung.
Ferien
Feste Ferientermin wie heutzutage gab es nicht. Vielfach richteten sich die Unterrichtszeiten im ländlichen Bereich nach den Erntezeiten, die je nach Region und angebauter Frucht unterschiedlich waren; es gab Kartoffelferien (vergleichbar mit den heutigen Herbstferien) in Obst- oder Weinanbaugebieten fiel der Unterricht aus, wenn Äpfel, Pflaumen. Kirschen und Birnen reif waren oder der Wein gelesen werden musste.
Unterricht im Winter
Die Jahreszeiten wirkten sich auf den Unterrichtsablauf insofern aus, als es im Winter morgens noch lange dunkel war. Es gab in den Schulräumen meist keine oder nur sehr eingeschränkte Beleuchtung, denn elektrisches Licht stand nicht zur Verfügung und Wachskerzen waren teuer. Deshalb bestand der Unterricht im Winter am Morgen darin, zu Singen oder Gedichte zu lernen, um sie auswendig aufzusagen.
Feiertage
Des Kaisers Geburtstag oder sein Regierungsjubiläum wurden festlich begangen und brachten etwas Abwechslung in den eher tristen Schulalltag.
Auf der Tafel steht in der damaligen Sütterlin-Schrift der Vers:
Der Kaiser ist ein lieber Mann.
Er wohnt in Berlin und
wär es nicht so weit von hier, dann
führ ich heut noch hin.
Auch der Sedantag wurde alljährlich gefeiert als der Tag der Kapitulation der französischen Armee bei Sedan am 2.September 1870 im Deutsch-Französischen Krieg.
Weiterführende Schule
Nur sehr wenige Kinder, größtenteils aus wohlhabenderen Familien, hatten die Möglichkeit, von der Volksschule auf ein Gymnasium zu wechseln. Dies war ein seltener Luxus, den sich die meisten Arbeiterfamilien nicht leisten konnten, da ihre Kinder früh zum Familieneinkommen beitragen mussten.
Im Heimatmuseum Beuel, Steinerstraße, kann ein Schulzimmer aus der Kaiserzeit besichtigt werden.
DANKSAGUNG
Die Gestaltung dieser Station des Geschichtsweges wurde dank finanzieller Unterstützung der Kath. Frauengemeinschaft Pützchen-Bechlinghoven ermöglicht.
Wir danken der Marktschule Pützchen, dem General-Anzeiger Bonn, dem Stadtarchiv Bonn, dem Denkmal- und Geschichtsverein Bonn rrh., dem Heimatmuseum Beuel, den Familien Wilhelm, Wieler und Beckemper für wertvolle Hinweise und die freundliche Überlassung von Fotos.